Hey Mann,
als ich das erste Mal über ein Männerherz wirklich nachgedacht habe, war, als ich ein gebrochenes Männerherz gesehen habe.
Nach dem Tod meines Onkels habe ich damals, vor etwa 6 Jahren, mit meiner Großmutter durch alte Fotoalben geblättert. Mein Onkel war einige Wochen zuvor an einer Herzkrankheit mit 56 Jahren gestorben, die ihn zuerst an einen Herzschrittmacher gebunden hat, der ihn am Ende nicht mehr unterstützen konnte.
Als wir damals durch das Fotoalbum geblättert haben, sahen wir Bilder aus der Kindheit meines Onkels, mit seinem Vater, also meinem Großvater. Auch mein Großvater ist an einem Herzversagen gestorben, das ihn im Alter von 35 Jahren bei der Arbeit an seinem Auto aus heiterem Himmel überrascht hat. Ab da waren neben meinem Onkel nur noch Frauen in der Familie, das Oberhaupt sozusagen plötzlich aus dem Bild gelöscht.
Ab diesem Zeitpunkt war auch im Fotoalbum meiner Großmutter etwas passiert.
Aus dem 13-jährigen Jungen, der mein Onkel damals war, wurde von einer auf die andere Seite im Album ein 14-jähriger Mann, der vollkommen anders aussah – gebrochen, verlassen, verängstigt. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Fotoalbum unglücklich dunkel. Ein paar Seiten später sah ich eigen Jugendlichen mit Zigarette, Alkohol, langen Haaren und Lederjacke. Ab da wurden auch die Erzählungen von meiner Großmutter dunkel: Alkohol-Exzesse, Gewalt gegen die Frauen in der Familie, zerschlagene Küchenarmaturen, nächtliche Evakuierungen der Kinder zum Nachbarn. Aus einem 14-jährigen Jungen wurde mit dem Tod des Vaters über Nacht ein Platz frei, den kein 14-jähriger ertragen kann. Die Verbindung der Männer war gebrochen und mit dem gebrochenen Herz meines Onkels auch die Orientierung in seinem Leben. Er wurde alkoholsüchtig, aggressiv, gewalttätig und hat bis zu seinem Tod in Zorn und Groll davon geredet, dass er “eh bald sterben wird”. Bis zu seinem Tod hat er es damals nicht geschafft, wirklich von zu Hause auszuziehen und war jedes Wochenende bei meiner Großmutter, wo auch ich die meiste Zeit meiner Kindheit verbracht habe.
Ich erinnere mich gerne zurück, wie sehr ich mich jeden Freitagabend darauf gefreut habe, dass mit meinem Onkel ein roter BWM in den Hof fuhr und damit Abende mit Bud Spencer & Terrence Hill, Besuche im Technik-Museum und Basteleien an Modellautos das Wochenende zum Männer-Wochenende gemacht haben. Mein Onkel war streng und liebevoll, wütend und lustig, besoffen und explizit und das hatte sehr gute und sehr schlechte Einflüsse auf mich.
Erst Jahre später wurde mir in Therapie und Coaching bewusst, wie sehr mein Herz vom gebrochenen Herz meines Onkels beeinflusst war. Wie ich gleichzeitig voller Groll und Liebe, wütend und witzig, besoffen und explizit sein konnte. Die Verbindung, die ich von meinem einzigen Rollenmodell gelernt habe, war eine Ambivalenz, mit der ich heute noch oft konfrontiert bin: wenn ich meinem Onkel zu viel wurde, war ich ein Kanal für seine Aggressionen. Wenn mir Menschen heute zu nah kommen, flüchte ich, weil ich Angst vor genau der gleichen Aggression gegen andere habe. Wut und Aggression war in meiner Kindheit kein Fremdwort – nur, dass eben ich keinen guten Weg finden konnte, wie ich mit diesen Emotionen umgehe, wenn sie mit der Zeit in mir (jedoch nicht von mir) waren.
Wut und Aggression habe ich gesehen, wenn sie ausagiert wurden: gegen Frauen, gegen Fremde, gegen “andere” und gegen mich. Den positiven Weg von Aggression für “das Gute”, für Aktion und für das Schaffen von Neuem habe ich nie gelernt. Alles, was ich gelernt habe, war, dass sie zerstört. Dass Männer zerstören. Ich habe Wut erfahren und entschieden, dass sie nicht gut ist. Ich habe Wut gespürt und durch das Gelernte gegen mich gerichtet, weil das der einzige Kanal war, der wenigsten keinen anderen verletzt. So kamen Süchte, Depressionen und Gefühle von Verlorensein in meinem Leben zustande. Ich wurde wütend auf andere und, weil ich es nicht besser wusste, dadurch wütend auf mich. Mein Männerherz wurde verletzt durch gebrochene Männerherzen und nun war ich an der Reihe, mit diesem Schmerz umzugehen – ein Päckchen, das mir einfach so vererbt wurde.
Erst Jahre später und mit diesen Einsichten in den Therapien, die ich erfahren durfte, konnte ich Stück für Stück mein Herz wieder öffnen. Einen großen Durchbruch hatte ich erfahren, als ich in einer Therapie-Sitzung eigentlich die Wut auf meinen Onkel bearbeiten wollte. Mehrere Sitzungen lang hatte das nicht wirklich funktioniert. Ich wollte wütend sein, aber Wut nach außen hatte ich mir lange schon verboten. Wenn ich in meinem Leben wütend wurde, dann nur unter Drogen oder Alkohol, dann aber so richtig und genauso zerstörerisch, wie ich es gelernt hatte. In der einen Sitzung war es jedoch anders: der Therapeut forderte mich auf, meinem Onkel zu sagen, dass ich ihn vermisse. “VERMISSEN??” dachte ich … Ich sollte doch wütend sein auf den Mann, der mich wütend auf mich gemacht hat?! Eine Minute später hatte ich den Satz gesprochen und saß schluchzend und aufgelöst auf meinem Stuhl. Ich habe meinen Onkel vermisst. Sehr vermisst. Für alles Schlechte, was ich von ihm hatte, war seine Anwesenheit und Liebe das, was mich stärker beeinflusst hat, als alle psychischen und physischen Schläge. Ich hatte ihn so geliebt, dass ich seine Strafen als Beweis für seine Liebe gesehen hatte. Heute weiß ich: es war seine Unfähigkeit, Liebe auf einem anderen, besseren Weg zu zeigen und das war Heilung für mich.
An dem Tag, als mein Onkel starb, lag er bereits 3 Tage im Koma auf der Intensivstation. 12 Stunden saß ich an seiner Seite und habe seine Hand gehalten. Ich war so unendlich traurig, wollte immer wieder schreien “JETZT WACH ENDLICH AUF DU ARSCHLOCH!!!” Aber er wollte nicht mehr aufwachen, war ohne die Hilfe der Geräte um ihn bereits klinisch tot. Ich machte eine Pause und setzte mich in den Wartebereich im Krankenhaus. Es war eine dunkle Ecke mit Stühlen und einem Stapel Magazine. Ich nahm eine Auto Bild Zeitung in die Hand – das Magazin, das wir immer zusammen am Wochenende nach den neusten Ferraris studiert haben. Ich schlug die Zeitung in der Mitte auf und dachte “siehe da, ein Ferrari!” und lächelte glücklich. 10 Sekunden später war mein Onkel tot. 12 Stunden lang konnte mein Onkel nicht vor meinen Augen sterben. 12 Stunden lang hatte ich ihn angesehen und auf seinen künstlichen Herzschlag am Bildschirm geschaut. 12 Stunden lang konnte er nicht gehen, weil ich im Raum war. Ich sehe es heute noch als ein Symbol, das mich an Männerherzen und eine Seele glauben lässt: dass er mich mit dem Magazin im Wartebereich ablenken musste, um mir sein letztes Zeichen zu geben:
Er wollte mit seinem Tod nicht ein weiteres Herz brechen.
Männerherzen sind nicht immer einfach. Sie sind oft verhärtet, zeigen Liebe auf seltsame Weise. Sie tragen Generationen in sich, stützen sich auf eine lange Ahnenreihe der Männer hinter sich. Doch egal wie verletzt sie sein mögen, tun sie am Ende das, für das sie schlagen: die Männer ihrer Gemeinschaft lieben, wenn auch auf Umwegen.